Mit verschränkten Armen lehnt sie im Türrahmen, als er sich noch einmal umdreht. Er lächelt, so sanft wie schon lange nicht mehr und ihr Herz macht einen kleinen Sprung. Eigentlich möchte sie nicht, dass er jetzt geht - aber seine Zeit ist gekommen und ab morgen, dürften sie sich ohnehin nicht mehr sehen, das weiß sie ganz genau. Social Distancing nennt sich das - und es ist richtig. Aber es schmerzt sie jetzt schon, dass die beiden sich für einen langen Zeitraum nicht sehen werden. Dass sie niemanden sehen wird. Niemanden sehen, niemanden berühren, niemanden in den Arm nehmen, oder beim gestikulieren sanft am Arm berühren. Niemandem Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, gemeinsam lachen - oder gemeinsam weinen. Sich gemeinsam an den schönen Dingen des Lebens freuen, am Frühling der gerade erwacht und sich in seinem schönsten Blütenmeer zeigt. Niemand, der sich mit ihr von der Sonne in der Nase kitzeln lässt. Ganz allein.
Er hat sich freiwillig für Doppelschichten im Krankenhaus eingetragen, weil sie einen großen Ansturm an Menschen erwarten. Schon die letzten Wochen haben ihn ausgelaugt, ihm viel Kraft genommen. Gerade ist Grippe-Zeit und überall lauert die Gefahr sich doch anzustecken. Sie macht sich große Sorgen um ihm.
„Kannst Du mich noch einmal in den Arm nehmen?“, fragt sie nervös und beißt sich dabei auf der Unterlippe herum.
„Komm her!“, sagt er und breitet seine starken Arme aus.
Sie geht langsam auf ihn zu, die nackten Füße tapsen auf dem Fliesenboden des Hausflures und ein kleiner, kalter Schauer krabbelt ihre Beine hoch.
Als sie endlich in seinen Armen liegt, fühlt es sich an als würde sie heim kommen.
Sein Shirt riecht nach Waschpulver - und ihm, ein bisschen herb, aber nicht unangenehm. Ein betörender Geruch den sie versucht aufzusaugen, damit sie sich noch lange daran erinnert. Ihr Atem wird flach und sie versucht sich nur auf die Geruchskomposition seines schwarzen Shirts zu konzentrieren.
Ihr kleiner, schmaler Kopf schmiegt sich seitlich an seine linke Schulter und er umgreift sie gänzlich. Aberwitzig, dass ihr Kopf genau in diese Kuhle passt die dort entsteht wenn er die Arme um sie schlingt. So, als würden die beiden perfekt zueinander passen.
Sie schließt die Augen und kann den Schlag seines Herzens hören, wie es gegen seine Brust hämmert. So stark, impulsiv und kräftig. Dabei ist sein Atem ruhig.
Ihre Arme halten sich an seinem Rücken fest und sie stellt die kalten Füße übereinander, um nicht zu sehr zu frösteln. Er drückt ihr einen Kuss auf ihr wildes Haar und löst sich dann langsam aus der Umarmung.
„Ich muss jetzt gehen, Kleines.“, sagt er leise und sieht sie dabei an. Ihr steigen die Tränen in die Augen.
Er legt den Kopf schief und verzieht das Gesicht. Dabei sieht er aus, als hätte er einen kleinen Hundewelpen gesehen, der jaulend nach seiner Mama sucht. Seine großen Hände legen sich auf ihre Wangen.
„Sieh’ mich an“, sagt er - „Wir sehen uns doch bald wieder….“
Ihr kullert eine Träne aus den gläsernen Augen und sie schnieft. Dabei senkt sie den Blick, damit er ihr nicht zusehen muss wie der Schmerz in ihr aufsteigt. Es fühlt sich an als würde jemand mit einem Handrührgerät ihren Bauchraum malträtieren und ihr kleines, warmes Herz bricht.
Er schließt die Augen und gibt ihr einen letzten Kuss. Seine Lippen verschmelzen mit den salzigen Tränen die ihr über die Wange an die Lippen laufen.
Dann löst er sich von ihr und greift ihre Hände: „Ich liebe Dich.“, sagt er, dreht sich langsam um und geht schließlich. „Und ich liebe Dich.“, haucht sie ihm hinterher. Sie blickt ihm nach, auch als die Haustür schon längst in’s Schloss gefallen ist.
Ihre Knie geben nach und sie sinkt auf den kalten Fliesenfußboden. Umklammert ihre Beine und Tränen rinnen aus ihren Augen.
„Vier Wochen“, denkt sie, „das schaffe ich nie.“, und erinnert sich an den Duft seines Shirts. Wie ein warmer Sommerregen. Ihr Bauch krampft. Dicke Tränen laufen ihr über die heißen Wangen und ihr Kopf dröhnt. Ihr Atem geht schwer und sie friert.
Langsam versucht sie sich zu erheben
und schlurft durch die Wohnungstür zurück in ihr Appartment. Die Tür fällt hinter ihr arglos in’s Schloss.
Direkt neben der Wohnungstür geht es in ihr warmes Schlafzimmer. Sie lässt sich auf’s Bett fallen und zieht ihre kuschelige Tagesdecke über ihre kalten Füße und Beine.
Eingerollt und mit gequollenen Augen blickt sie auf die leere Bettseite neben sich. Ihr Blick fällt auf einen schwarzen Pullover - hat er seinen Pullover vergessen?
Sie greift danach und schmiegt sich an das wollige Kleidungsstück, saugt den herben Duft ein und schließt die Augen.
„Ich liebe Dich“, murmelt sie und schläft schließlich ein.
Draußen verstummen die Vögel langsam und die Nacht bricht herein.
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